Dienstag, 25. November 2014

Im Westen geht die Sonne auf: „Inspiration Japan“ im Museum Folkwang

Von TANKRED STACHELHAUS

Takeshi’s Castle, Tamagotchi, Hello Kitty: Welche kulturellen Errungenschaften auch immer in den vergangenen Jahren von Japan nach Europa schwappten, sie konnte es kaum mit dem Einfluss des Landes auf die Entwicklung der westlichen Kunst vor über 100 Jahren aufnehmen. Künstler wie Manet, Degas, Cézanne, van Gogh, Bonnard und Vuillard waren hin und weg über das, was da nach der 1854 erzwungenen Öffnung Nippons seinen Weg nach Paris fand. „Diese Leute haben uns eine andere Art der Bildkomposition gelehrt, daran besteht nicht der geringste Zweifel“, befand Claude Monet im Jahre 1920 über die japanischen Meister – was einem nun das Museum Folkwang in Essen bestätigt.

Die Schau „Impression Japan“ ist höchst didaktisch aufgebaut. Kuratorin Sandra Gianfreda legte den Schwerpunkt auf den Zeitraum von 1860 bis 1910, dem Anfang und der „Japonisme“ genannten Hochphase der Rezeption japanischer Kunst in Frankreich. Was mit dem Auftauchen japanischer Motive als schmuckes Beiwerk in Gemälden beginnt, führt über die Übernahme von einzelnen Stilmitteln hin zur Verinnerlichung der Bildsprache.

Die Japaner teilten mit den französischen Impressionisten die Faszination für den Augenblick, für den Alltag, für den Mensch in der Natur, fürs einfache Leben und fürs Theater. Aber sie gingen viel radikaler vor, zeigen einen Straßenzug durch die Beine von Pferden hindurch, die fast die Hälfte des Bildes einnehmen. Meere, Landschaften, Menschen – vieles erscheint kühner, drastischer und dramatischer.

Die Stars der von E.ON gesponserten Ausstellung sind ohnehin nicht die in deutschen Museen gefühltermaßen immer wieder aufs Neue zusammengewürfelten Klassiker der Moderne, sondern Künstler wie Utagawa Kunisada (Toyokuni III) (1786-1865), Utagawa Hiroshige (1797-1858) oder Katsushika Hokusai (1760-1849). Letzterer soll das bis heute für japanische Comics gebräuchliche Wort „Manga“ geprägt haben.

Inmitten der Ausstellung sitzt man in Monets nach japanischem Vorbild angelegten Garten, und meint fast auf den umgebenden Gemälden, die Blumen riechen zu können und das Wasser plätschern zu hören. Hier wird in Essen am deutlichsten, dass in der Kunst des Westens die Sonne aufgeht.

Monet, Gauguin, van Gogh ... Inspiration Japan
Museum Folkwang, Essen
Bis 18. Januar 2015

(Aus: KUNSTZEITUNG 11/2014)



Sonntag, 14. September 2014

Auftakt RÜ2-Musik: Ohne Netz und doppelten Boden

Ganz zu Anfang bekannte Frank Niehusmann, dass er von selbst nie darauf gekommen wäre, Martin „Ludi“ Ettrich (Party Popes, Almost Three, Birth Control) zum Start auf die Bühne des Glückauf-Kinos zu bitten. Er habe ja schon zusammen mit ihm im Sandkasten gespielt! Das war zwar nicht gerade eine einleuchtende Begründung, aber das Bild ließ mich den Abend nicht mehr los. 

Die zusammengewürfelte Rü2-Musikband brachte im Wesentlichen zwei Sachen zu Gehör: 1.) eine Pink Floyd-artige Wall of Sound aus Akkordeon und Trompete sowie 2.) ein hektisches Dudeldidudeldidi von Trompete oder Akkordeon, gefolgt von mehreren Zufalls-Tsintummbummknarz-Samples, die Niehusmann mit einem aufgeregten „Herr Lehrer! Ich weiß was!“-Hüpfer am Drumpad anschlug. Und wieder von vorne, minutenlang. Fehlte noch, dass jemand „Hurz!“ rief. Rummatschen im Sand, mit Förmchen spielen.

Gast Ettrich, als exzellenter Rock-, Blues und Funkgitarrist in diese Kakophonie geworfen, schien sich zunächst hinter seinem hilflosen Lächeln und mit ein paar zaghaft angespielten Tönen zu fragen, auf was er sich da eingelassen hat. Und auf wen. Aber dann fing Ettrich an, mit durchgehenden Funkriffs dem Durcheinander ein Fundament zu bereiten. Plötzlich passte alles zusammen. Manchmal jedenfalls. Am Ende kam sogar noch so etwas wie ein musikalisches Frage- und Antwortspiel mit lustigen Sprachsamples zustande.

Bevor die Rü2-Band Ettrich assimilierte, durfte der erstmal Solo ran. Obwohl: Mit Loopeffekten trat er vorwiegend  mit sich selbst im Duett auf. Die live gespielten und dabei abgespeicherten Riffs wiederholten sich unendlich und dienten als Begleitung für die Soli, die sich fulminant jaulend ins Kreischen hineinsteigerten. Was für eine Wucht! 

Man soll aufhören, wenn's am besten ist - diese alte Weisheit ignorierte Ludi offenbar in der berechtigten Hoffnung, ein Instrumentenwechsel würde seine Vielsaitigkeit unterstreichen. Er griff zur Saz. Als er an der elektrisch verstärkten türkischen Laute den Verzerrer hinzuschaltete (er ist eben ein Rocker), war's aus: Ludi verschmolz mit seinen Effekten, wurde selbst zum Loop. Immer, immer, immer wieder spielte er die selbe Tonfolge. Wie aufhören? Wie enden? Jetzt noch steigern? Ettrich wählte die Notbremse: zwei Takte von Led Zeppelins "Kahmir". Und Schluss. Einfach so. Das war groß. Und weise. Schluss machen, wenn's nicht mehr geht. 

Ja, es war über weite Strecken ein anstrengender, aber auch anregender Konzertabend. Unterhaltung muss nicht schön sein. Das zu verdeutlichen, hat Rü2-Musik bei der Premiere geschafft. Hier geht's um das ergebnisoffene Experiment, darum, Leute in einem neuen Kontext auf die Bühne zu schmeißen und zu sehen, was passiert. Ohne Netz und doppelten Boden. So viel Mut zu Unvorhergesehenem gibt's jetzt einmal im Monat. Nächster Termin 7. Oktober, dann mit dem Duo Fatale als Gast.