Sonntag, 14. September 2014

Auftakt RÜ2-Musik: Ohne Netz und doppelten Boden

Ganz zu Anfang bekannte Frank Niehusmann, dass er von selbst nie darauf gekommen wäre, Martin „Ludi“ Ettrich (Party Popes, Almost Three, Birth Control) zum Start auf die Bühne des Glückauf-Kinos zu bitten. Er habe ja schon zusammen mit ihm im Sandkasten gespielt! Das war zwar nicht gerade eine einleuchtende Begründung, aber das Bild ließ mich den Abend nicht mehr los. 

Die zusammengewürfelte Rü2-Musikband brachte im Wesentlichen zwei Sachen zu Gehör: 1.) eine Pink Floyd-artige Wall of Sound aus Akkordeon und Trompete sowie 2.) ein hektisches Dudeldidudeldidi von Trompete oder Akkordeon, gefolgt von mehreren Zufalls-Tsintummbummknarz-Samples, die Niehusmann mit einem aufgeregten „Herr Lehrer! Ich weiß was!“-Hüpfer am Drumpad anschlug. Und wieder von vorne, minutenlang. Fehlte noch, dass jemand „Hurz!“ rief. Rummatschen im Sand, mit Förmchen spielen.

Gast Ettrich, als exzellenter Rock-, Blues und Funkgitarrist in diese Kakophonie geworfen, schien sich zunächst hinter seinem hilflosen Lächeln und mit ein paar zaghaft angespielten Tönen zu fragen, auf was er sich da eingelassen hat. Und auf wen. Aber dann fing Ettrich an, mit durchgehenden Funkriffs dem Durcheinander ein Fundament zu bereiten. Plötzlich passte alles zusammen. Manchmal jedenfalls. Am Ende kam sogar noch so etwas wie ein musikalisches Frage- und Antwortspiel mit lustigen Sprachsamples zustande.

Bevor die Rü2-Band Ettrich assimilierte, durfte der erstmal Solo ran. Obwohl: Mit Loopeffekten trat er vorwiegend  mit sich selbst im Duett auf. Die live gespielten und dabei abgespeicherten Riffs wiederholten sich unendlich und dienten als Begleitung für die Soli, die sich fulminant jaulend ins Kreischen hineinsteigerten. Was für eine Wucht! 

Man soll aufhören, wenn's am besten ist - diese alte Weisheit ignorierte Ludi offenbar in der berechtigten Hoffnung, ein Instrumentenwechsel würde seine Vielsaitigkeit unterstreichen. Er griff zur Saz. Als er an der elektrisch verstärkten türkischen Laute den Verzerrer hinzuschaltete (er ist eben ein Rocker), war's aus: Ludi verschmolz mit seinen Effekten, wurde selbst zum Loop. Immer, immer, immer wieder spielte er die selbe Tonfolge. Wie aufhören? Wie enden? Jetzt noch steigern? Ettrich wählte die Notbremse: zwei Takte von Led Zeppelins "Kahmir". Und Schluss. Einfach so. Das war groß. Und weise. Schluss machen, wenn's nicht mehr geht. 

Ja, es war über weite Strecken ein anstrengender, aber auch anregender Konzertabend. Unterhaltung muss nicht schön sein. Das zu verdeutlichen, hat Rü2-Musik bei der Premiere geschafft. Hier geht's um das ergebnisoffene Experiment, darum, Leute in einem neuen Kontext auf die Bühne zu schmeißen und zu sehen, was passiert. Ohne Netz und doppelten Boden. So viel Mut zu Unvorhergesehenem gibt's jetzt einmal im Monat. Nächster Termin 7. Oktober, dann mit dem Duo Fatale als Gast.