Raum für Notizen

Sonntag, 11. Oktober 2020

Christian Odzucks "Altlanten" auf dem Moltkeplatz

Foto: KaM / Wagenitz

Die Götter stehen uns bei! Christian Odzuck hat für die Reihe "junge Kunst am Moltkeplatz" eine große Holzkonstruktion errichten lassen. Von einer schiefen Laterne mit vier Lichtern aus geht es über einen Laufsteg in eine Art Atrium, dessen offene Wände aus mehren dreieckigen Rahmen zusammengeschraubt sind. Wer hier schräg nach oben in die Baumkronen blickt, dem wird ein wenig schwindelig. Der Raum erscheint krumm und schief, verrückt. Dort, wo sich Illusion und Realität die Hand geben, scheint alles möglich. Von hier aus geht's überall hin. Wie mithilfe von Bifröst, jener machtvollen Brücke, die in der nordischen Sagen- und in der popkulturellen Avengerswelt dem Hammergott Thor und seinen Recken vorbehalten ist.

 

Odzucks Bifröst kommt weniger martialischer daher und funktioniert auch ohne Special Effects. Die Installation wurde mit Materialien aus dem Baumarkt auf der Wiese errichtet und versucht auch gar nicht, ihren mehr oder weniger provisorischen Charakter zu verbergen. Es ist ein temporäres Werk, seine Funktion steht im Vordergrund. Nachts bilden die mit gespeicherter Sonnenenergie betriebenen Lichter die Verbindung zu Sternenbildern, der Steg erhöht seine Nutzer und lässt sie zugleich demutsvoll in Richtung Transformationsraum schreiten. In seinem Inneren ist man bereit, sich überall hin in jede Zeit zu katapultieren.

Klar, das funktioniert in echt natürlich nur im Geiste. Aber so, wie ein freier Geist das Moltkeviertel plante, die Skulpturenwiese initiierte und die dortigen Plastiken und Skulpturen fertigte, so setzt Odzuck mit seinem "Atlanten" den Geist für alle frei: als eine Brücke in die Kreativität. 

Infos: http://www.kunst-am-moltkeplatz.de/junge-kunst-am-moltkeplatz/christian-odzuck


Donnerstag, 24. Mai 2018

Drahtseilakt


Zum Tod von Gereon Buchholz

„Verstorben?“, lächelte er mich milde an, meinen Text auf dem Bildschirm. „Warum schreibst du nicht ,gestorben‘?“ Mit Gereon Buchholz konnte ich wunderbar über Formulierungen streiten. Was andere womöglich für Wortklauberei halten, war seine, unsere Leidenschaft: eine klare, angemessene Sprache, die nicht lärmt, nicht stakkatoartig Subjekt, Prädikat, Objekt auf den Leser hetzt … doch halt! „Schreib' doch lieber über Sachen, die sind, und nicht über Sachen, die nicht sind“, lautete einmal sein Fingerzeig. Schon gut, also: Gereon Buchholz liebte das Semikolon.

Wenn wir nicht innerhalb von zwei Jahren Weltstars sind, dann lassen wir’s bleiben.“ So oder so ähnlich schworen die Mitglieder der Essener Band „Lazy Squad“ Anfang der 1980er-Jahre – unter ihnen der Bassist, Gereon Buchholz. Der Ausgang des Schwurs machte für Gereon den Weg frei zu den Werdener Nachrichten. Doch der Fixstern blieb: The Who, jene gitarrenzertrümmernde Band, die bei Gereons Artikeln über Werden zuweilen mitrockte.

In seinen Texten findet sich jener wuchtig-hibbelige Rhythmus wieder, für den Drummer Keith Moon berühmt wurde: sprachlich, durch eine enorm wachsame Abfolge seiner Wörter und Satzlängen, inhaltlich, weil er stringent das Thema zusammenhielt, aber dabei jeden Beteiligten die Gelegenheit gab, sich zu positionieren. Und schließlich leistete er sich noch einen Manierismus: Durch jede Zeile schien durch, dass er Spaß am Schreiben hat. So widersprüchlich das klingt, lag das auch daran, dass er seine Arbeit und Werden sehr herzlich ernst nahm.

„Die Welt beginnt vor der Haustür“, lautete einer seiner Leitmotive. Und die gilt es immer wieder aufs Neue zu entdecken. Eindringlich zeigt sich das in der von ihm ins Leben gerufenen Serie „Eine halbe Stunde“. Die halbstündige anlasslose Recherche an einem beliebigen Ort entwickelte sich zu einem Reportage-Lehrstück über die Heimat. Unzählige Schülerpraktikanten der Reaktion und junge freie Mitarbeiter wie ich durften auf diese Weise ihre Sinne schärfen und lernen, Beobachtungen anschaulich in Form zu bringen.

Ein Mann, eine Redaktion: Gereon beherrschte den Drahtseilakt, ganz nah bei den Werdenern zu sein, aber nie seine professionelle Distanz aufzugeben. Er war mitunter mitten im Geschehen, aber er machte sich nicht mit den Werdenern und ihren Institutionen gemein. „Ich schreibe nie wir!“, sagte er mir einmal. Gereon, du fehlst.

Dienstag, 25. November 2014

Im Westen geht die Sonne auf: „Inspiration Japan“ im Museum Folkwang

Von TANKRED STACHELHAUS

Takeshi’s Castle, Tamagotchi, Hello Kitty: Welche kulturellen Errungenschaften auch immer in den vergangenen Jahren von Japan nach Europa schwappten, sie konnte es kaum mit dem Einfluss des Landes auf die Entwicklung der westlichen Kunst vor über 100 Jahren aufnehmen. Künstler wie Manet, Degas, Cézanne, van Gogh, Bonnard und Vuillard waren hin und weg über das, was da nach der 1854 erzwungenen Öffnung Nippons seinen Weg nach Paris fand. „Diese Leute haben uns eine andere Art der Bildkomposition gelehrt, daran besteht nicht der geringste Zweifel“, befand Claude Monet im Jahre 1920 über die japanischen Meister – was einem nun das Museum Folkwang in Essen bestätigt.

Die Schau „Impression Japan“ ist höchst didaktisch aufgebaut. Kuratorin Sandra Gianfreda legte den Schwerpunkt auf den Zeitraum von 1860 bis 1910, dem Anfang und der „Japonisme“ genannten Hochphase der Rezeption japanischer Kunst in Frankreich. Was mit dem Auftauchen japanischer Motive als schmuckes Beiwerk in Gemälden beginnt, führt über die Übernahme von einzelnen Stilmitteln hin zur Verinnerlichung der Bildsprache.

Die Japaner teilten mit den französischen Impressionisten die Faszination für den Augenblick, für den Alltag, für den Mensch in der Natur, fürs einfache Leben und fürs Theater. Aber sie gingen viel radikaler vor, zeigen einen Straßenzug durch die Beine von Pferden hindurch, die fast die Hälfte des Bildes einnehmen. Meere, Landschaften, Menschen – vieles erscheint kühner, drastischer und dramatischer.

Die Stars der von E.ON gesponserten Ausstellung sind ohnehin nicht die in deutschen Museen gefühltermaßen immer wieder aufs Neue zusammengewürfelten Klassiker der Moderne, sondern Künstler wie Utagawa Kunisada (Toyokuni III) (1786-1865), Utagawa Hiroshige (1797-1858) oder Katsushika Hokusai (1760-1849). Letzterer soll das bis heute für japanische Comics gebräuchliche Wort „Manga“ geprägt haben.

Inmitten der Ausstellung sitzt man in Monets nach japanischem Vorbild angelegten Garten, und meint fast auf den umgebenden Gemälden, die Blumen riechen zu können und das Wasser plätschern zu hören. Hier wird in Essen am deutlichsten, dass in der Kunst des Westens die Sonne aufgeht.

Monet, Gauguin, van Gogh ... Inspiration Japan
Museum Folkwang, Essen
Bis 18. Januar 2015

(Aus: KUNSTZEITUNG 11/2014)



Sonntag, 14. September 2014

Auftakt RÜ2-Musik: Ohne Netz und doppelten Boden

Ganz zu Anfang bekannte Frank Niehusmann, dass er von selbst nie darauf gekommen wäre, Martin „Ludi“ Ettrich (Party Popes, Almost Three, Birth Control) zum Start auf die Bühne des Glückauf-Kinos zu bitten. Er habe ja schon zusammen mit ihm im Sandkasten gespielt! Das war zwar nicht gerade eine einleuchtende Begründung, aber das Bild ließ mich den Abend nicht mehr los. 

Die zusammengewürfelte Rü2-Musikband brachte im Wesentlichen zwei Sachen zu Gehör: 1.) eine Pink Floyd-artige Wall of Sound aus Akkordeon und Trompete sowie 2.) ein hektisches Dudeldidudeldidi von Trompete oder Akkordeon, gefolgt von mehreren Zufalls-Tsintummbummknarz-Samples, die Niehusmann mit einem aufgeregten „Herr Lehrer! Ich weiß was!“-Hüpfer am Drumpad anschlug. Und wieder von vorne, minutenlang. Fehlte noch, dass jemand „Hurz!“ rief. Rummatschen im Sand, mit Förmchen spielen.

Gast Ettrich, als exzellenter Rock-, Blues und Funkgitarrist in diese Kakophonie geworfen, schien sich zunächst hinter seinem hilflosen Lächeln und mit ein paar zaghaft angespielten Tönen zu fragen, auf was er sich da eingelassen hat. Und auf wen. Aber dann fing Ettrich an, mit durchgehenden Funkriffs dem Durcheinander ein Fundament zu bereiten. Plötzlich passte alles zusammen. Manchmal jedenfalls. Am Ende kam sogar noch so etwas wie ein musikalisches Frage- und Antwortspiel mit lustigen Sprachsamples zustande.

Bevor die Rü2-Band Ettrich assimilierte, durfte der erstmal Solo ran. Obwohl: Mit Loopeffekten trat er vorwiegend  mit sich selbst im Duett auf. Die live gespielten und dabei abgespeicherten Riffs wiederholten sich unendlich und dienten als Begleitung für die Soli, die sich fulminant jaulend ins Kreischen hineinsteigerten. Was für eine Wucht! 

Man soll aufhören, wenn's am besten ist - diese alte Weisheit ignorierte Ludi offenbar in der berechtigten Hoffnung, ein Instrumentenwechsel würde seine Vielsaitigkeit unterstreichen. Er griff zur Saz. Als er an der elektrisch verstärkten türkischen Laute den Verzerrer hinzuschaltete (er ist eben ein Rocker), war's aus: Ludi verschmolz mit seinen Effekten, wurde selbst zum Loop. Immer, immer, immer wieder spielte er die selbe Tonfolge. Wie aufhören? Wie enden? Jetzt noch steigern? Ettrich wählte die Notbremse: zwei Takte von Led Zeppelins "Kahmir". Und Schluss. Einfach so. Das war groß. Und weise. Schluss machen, wenn's nicht mehr geht. 

Ja, es war über weite Strecken ein anstrengender, aber auch anregender Konzertabend. Unterhaltung muss nicht schön sein. Das zu verdeutlichen, hat Rü2-Musik bei der Premiere geschafft. Hier geht's um das ergebnisoffene Experiment, darum, Leute in einem neuen Kontext auf die Bühne zu schmeißen und zu sehen, was passiert. Ohne Netz und doppelten Boden. So viel Mut zu Unvorhergesehenem gibt's jetzt einmal im Monat. Nächster Termin 7. Oktober, dann mit dem Duo Fatale als Gast.





Mittwoch, 27. November 2013

Neuenthüllungen als Rettungsruf

Sie leuchten übers Meer, lotsen an Riffen vorbei und werden in den Untiefen der Kulturpolitik des Ruhrgebietes gerne als Begründung dafür benutzt, warum dort am liebsten Geld in Großprojekte fließt: Leuchttürme. Mit ihrer überregional wirksamen Ausstrahlung sollen die „Leuchtturmprojekte“ in die herbeibeschworene „Metropole Ruhr“ locken und „neue Bilder“ vom Ruhrgebiet erzeugen. Dabei reift im Schatten von Triennale, Emscherkunst & Co. den Städten bei ihrer Kunst im öffentlichen Raum die Erkenntnis: Das Alte ist tot, es lebe das Neue. Es ist ja auch so viel mühseliger, geradezu langweilig, sich um die Hinterlassenschaften vorhergehender Künstler- und Kuratorengenerationen zu kümmern! Statt vollmöblierter Plätze werden im Ruhrgebiet deshalb übrigens zunehmend vor allem temporäre Kunstwerke geschätzt. Das geht offenbar auch nachträglich: In Mülheim an der Ruhr lässt man derzeit Skulpturen und Plastiken im öffentlichen Raum derart vergammeln, dass sie von sich aus das Zeitliche segnen. Für die Pflege gibt keinen Etat, und das ist symptomatisch für das ganze Ruhrgebiet. Doch es gibt Hoffnung: Mit ihrer Reihe „Neuenthüllungen“ machen die 20 als „Ruhrkunstmuseen“ zusammengeschlossenen und selbst chronisch unterfinanzierten Kunstmuseen des Ruhrgebiets auf die zahlreichen Schätze im öffentlichen Raum aufmerksam. Das Projekt ist als Rettungsruf zu verstehen. Doch die Signalraketen werden schnell verglühen, während die Leuchttürme immer weiter leuchten, und sei es am Ende nur um ihrer selbst willen. TANKRED STACHELHAUS (Informationsdienst KUNST, 21. November 2013)