Donnerstag, 24. Mai 2018

Drahtseilakt


Zum Tod von Gereon Buchholz

„Verstorben?“, lächelte er mich milde an, meinen Text auf dem Bildschirm. „Warum schreibst du nicht ,gestorben‘?“ Mit Gereon Buchholz konnte ich wunderbar über Formulierungen streiten. Was andere womöglich für Wortklauberei halten, war seine, unsere Leidenschaft: eine klare, angemessene Sprache, die nicht lärmt, nicht stakkatoartig Subjekt, Prädikat, Objekt auf den Leser hetzt … doch halt! „Schreib' doch lieber über Sachen, die sind, und nicht über Sachen, die nicht sind“, lautete einmal sein Fingerzeig. Schon gut, also: Gereon Buchholz liebte das Semikolon.

Wenn wir nicht innerhalb von zwei Jahren Weltstars sind, dann lassen wir’s bleiben.“ So oder so ähnlich schworen die Mitglieder der Essener Band „Lazy Squad“ Anfang der 1980er-Jahre – unter ihnen der Bassist, Gereon Buchholz. Der Ausgang des Schwurs machte für Gereon den Weg frei zu den Werdener Nachrichten. Doch der Fixstern blieb: The Who, jene gitarrenzertrümmernde Band, die bei Gereons Artikeln über Werden zuweilen mitrockte.

In seinen Texten findet sich jener wuchtig-hibbelige Rhythmus wieder, für den Drummer Keith Moon berühmt wurde: sprachlich, durch eine enorm wachsame Abfolge seiner Wörter und Satzlängen, inhaltlich, weil er stringent das Thema zusammenhielt, aber dabei jeden Beteiligten die Gelegenheit gab, sich zu positionieren. Und schließlich leistete er sich noch einen Manierismus: Durch jede Zeile schien durch, dass er Spaß am Schreiben hat. So widersprüchlich das klingt, lag das auch daran, dass er seine Arbeit und Werden sehr herzlich ernst nahm.

„Die Welt beginnt vor der Haustür“, lautete einer seiner Leitmotive. Und die gilt es immer wieder aufs Neue zu entdecken. Eindringlich zeigt sich das in der von ihm ins Leben gerufenen Serie „Eine halbe Stunde“. Die halbstündige anlasslose Recherche an einem beliebigen Ort entwickelte sich zu einem Reportage-Lehrstück über die Heimat. Unzählige Schülerpraktikanten der Reaktion und junge freie Mitarbeiter wie ich durften auf diese Weise ihre Sinne schärfen und lernen, Beobachtungen anschaulich in Form zu bringen.

Ein Mann, eine Redaktion: Gereon beherrschte den Drahtseilakt, ganz nah bei den Werdenern zu sein, aber nie seine professionelle Distanz aufzugeben. Er war mitunter mitten im Geschehen, aber er machte sich nicht mit den Werdenern und ihren Institutionen gemein. „Ich schreibe nie wir!“, sagte er mir einmal. Gereon, du fehlst.

1 Kommentar:

  1. Das ist ganz toll geschrieben/beschreiben. Ich bin immer noch sehr berührt. Lieben Gruß, Carsten

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